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Es falsch machen. Der Fehler in der Neuen Musik

Haus Witten, Witten

27.04.2018, 09:30 Uhr bis 27.04.2018, 15:30 Uhr

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Die Neue Musik hat ein gespanntes Verhältnis zum Fehler und dem Falschen, auch wenn sie sie von Anfang an begleitet haben. Dabei sind mehrere Dimensionen dessen im Spiel, was man als Fehler bezeichnen kann. Zuerst einmal ist an den gezielten Regelverstoß durch Komponist*innen zu denken, die falsche Akkordverbindung, die Lockerung tonaler Zusammenhänge bis zu ihrer Verabschiedung, das Aufbrechen etablierter Formen, der Verstoß gegen den guten Geschmack etc. Als Fehler kann all dies vor allem aus der Perspektive der Tradition verstanden werden, gegen die es in Anschlag gebracht wird. Ein weiterer Punkt ist das Zulassen oder Einplanen unterschiedlicher Dimensionen von Unbestimmtheit, der partielle Kontrollverlust, das systematische Zulassen des Fehlers und des Falschen bis hin zum Verschwinden der Unterscheidung von richtig und falsch. Auf der Ebene der Instrumente wäre die Einbeziehung falscher Spielweisen nennen, die sowohl den traditionellen Klangvorstellungen als auch den inkorporierten Spielregeln der Interpret*innen zuwider laufen.

Angesichts dieser Beispiele, denen weitere hinzugefügt werden könnten, könnte es so scheinen, als hätte die Neue Musik den Fehler geradezu in den Mittelpunkt gerückt und vollständig rehabilitiert. Sieht man sich diese verschiedenen Aspekte allerdings genauer an, so wird die prekäre Rolle deutlich, die Fehler und Falsches in der Regel spielen: Der Verstoß gegen die Regeln der Tradition ist geradezu das Standardverfahren der Generierung von kulturell Neuem, das fast immer bereits die Etablierung einer neuen Regel im Blick hat – das Falsche ist hier bereits erkennbar als das neue Richtige. Die Einbeziehung von Zufall und Unbestimmtheit wurde gerade in der europäischen Tradition schnell eingehegt und der Kontrolle unterworfen, und selbst dort, wo programmatisch ihre Entgrenzung zur Debatte stand wie bei Cage, findet sich ein entsprechend transformiertes Ideal von Werktreue, das sorgfältig zwischen gewährten Spielräumen und verbotenem Fehler unterscheidet. Die falschen Spiel weisen werden fast übergangslos zu neuen Spieltechniken, die ebenso präzise kontrolliert und kultiviert werden wie diejenigen der Tradition, und damit zu Erweiterungen des Richtigen.

Insgesamt kann man sagen, dass in Ausbildung und Aufführung in der Kunstmusik bis heute eine extreme Fehlerfeindlichkeit herrscht und Virtuosität und Perfektion weithin ungebrochene Ideale darstellen. Von hier aus betrachtet sind Fehler und Falsches Chiffren für Neuheit und Erweiterung ganz im Sinne der klassischen Moderne. Dilettantismus und Deskilling, die in der bildenden Kunst und der Performancekunst das Ideal der Virtuosität seit langem verdrängt haben, haben in der Neuen Musik – anders als in der Popmusik, ohne die die zeitgenössische Kunst nicht zu denken ist – kaum Anklang gefunden. Auch die pathetisch-romantische Evokation des Scheiterns, die man als gesamtkulturelles Phänomen der vergangenen Jahre bezeichnen muss, hat daran nichts geändert. Sollte sie diese Herausforderung annehmen? Was steht dabei auf dem Spiel?

Ausgehend von diesen Beobachtungen will die Tagung einige Fragen stellen: Wie hält es die Neue Musik mit einem Falschen, das nicht reflexiv oder retrospektiv in ein Richtiges umgedeutet werden kann? Was ist überhaupt ein Fehler in einem nicht trivialen Sinne? Wie kann man ihn in komplexen Zusammenhängen wie dem der Musik denken? Wie sähe eine Musikkultur aus, die den Fehler kultiviert, ohne ihn als Vorwegnahme der Norm von morgen zu verstehen, und die das Falsche zulassen kann, ohne es zu einer höheren Form des Richtigen zu machen? Wir werden diesen Fragen mit Theoretikern und Praktikern der Musik und anderer Disziplinen nachgehen.